Naturheilpraxen

Akupunktur

Definition
Die korrekte Übersetzung des Begriffes zhen jiu lautet Aku-Moxa-(Therapie). Gemeint ist  die Reizung genau definierter Punkte an der Oberfläche des Körpers durch Nadelstiche (zhen) und durch Abbrennen von Beifußkraut (jiu). Je nach Nadeltechnik erfolgt das Nadeln entweder ausleitend (xie, sedierend) oder anregend (bu, tonisierend), während das Moxen immer als Tonisierung des Organismus zu verstehen ist.

Geschichte
Akupunktur ist Teil der Chinesischen Medizin, wie sie vor über 3000 Jahren entwickelt worden ist, ursprünglich wohl zur Analgesie bei akuten Verletzungen. Erste Behandlungen erfolgten mit Knochensplittern aus Schildkrötenpanzern, das Behandlungsvorgehen wurde per Orakelbefragung entschieden.

Es gibt Hinweise, dass die fruchtbarste Entwicklungszeit der Chinesischen Medizin zur so genannten Achsenzeit um 500 v. Chr. liegt. Ihre philosophische Fundierung kennt die Chinesische Medizin mit der so genannten Yin-Yang-Philosophie, wie sie im Yi Jing - dem Buch der Wandlung, das um 700 v. Chr. entstanden ist, niedergeschrieben ist. Ferner gibt es den Einfluss konfuzianischer und daoistischer Konzepte: die Idee des mittleren Weges, zhong yong, die Analogie zwischen oben und unten (der himmlische Weg, tian dao, und der menschliche Weg, ren dao) und die Idee des harmonischen Zusammenspiels zwischen Natur und Gesellschaft, tian ren he yi.

Die erste dezidierte Beschreibung der Chinesischen Medizin und der Akupunktur bei schwerpunktmäßiger Integration naturphilosophischer und gesellschaftsphilosophischer Ansichten erfolgte um 200 n. Chr. mit dem Huang Di Nei Jing - des Gelben Kaisers Klassiker des Inneren (in zwei Bänden: Su wen und Ling shu);

um 1000 n. Chr. war die Chinesische Medizin von ihren medizinphilosophischen Grundlagen her abgeschlossen. Es gab nun rund vierhundert Akupunkturpunkte auf zwölf Haupt- und acht Extraleitbahnen (Meridiane) und vielen kleineren Verbindungslinien (Kollaterale).

Wirkungsverständnis
Der Mensch lebt in einem polaren, sich im rhythmischen Wechselspiel durchdringenden Verhältnis zweier Kräfte, die mit Yin und Yang bezeichnet werden: Yin symbolisiert den struktiven, rezeptiven, konsolidierenden Aspekt, Yang den aktiven, dynamischen, zerstreuenden Aspekt. Wie das Wechselspiel von Tag und Nacht, Sonne und Regen bedingen sich die beiden, so dass der Zustand des einen letztlich durch die Abwesenheit des anderen erkannt wird. Das harmonische Zusammenspiel von Yin und Yang kreiert eine dritte Kraft, das gesunde Qi,Zheng Qi, ein unharmonisches Zusammenspiel kreiert ein pathogenes Qi,Xie Qi. Das gesunde Qi zirkuliert in den Meridianen und wird in den inneren Organen gespeichert. Wo es an die Oberfläche dringt, den Akupunkturpunkten, steht es im Austausch mit dem kosmischen Qi (energetisches Anatomieverständnis). Akupunkturtherapie ist ein Spiegel von Austauschbeziehungen, denen der menschliche Organismus untersteht. Der einzelne ist kein geschlossenes System und Spielball mächtiger kosmischer Rhythmen. Gesundheit ist das Funktionieren dieser Beziehungen, inklusive der sich daraus ableitenden zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Interaktionen. Krankheit bedeutet das Verlassen einer von der Natur vorgegebenen Bandbreite, innerhalb derer sich das menschliche Leben abspielen soll. (Alan Watts hat hierfür das Bild des Balls in dem Bett eines reißenden Baches geprägt, dessen ganzes Bestreben dahin geht, nicht aus "dem Lauf des Wassers” herausgeschleudert zu werden.)

Im Organismus gibt es verschiedene Arten von Qi, die wichtigsten sind das angeborene Yuan Qi, das ernährungsabhängige Ying Qi, und das abwehrkräftigende Wei Qi. Läßt sich das Wei Qi mit seinen symptomatischen Zuständen mit Akupunktur relativ leicht beeinflussen, so kommen bei der Therapie auf der Ebene des Ying Qi weitere Maßnahmen hinzu, und die Ebene des Yuan Qi reflektiert einen konstitutionellen Aspekt, der auch Raum für eine chinesische psychosomatische Therapie eröffnet.

Anspruch aller verschiedenen Akupunkturschulen ist die sich ergänzende Behandlung symptomatischer und konstitutioneller Aspekte, je nach dem ob das akute oder das chronische Erscheinungsbild überwiegt. Besonders bei allen Langzeittherapien sollte der konstitutionelle Aspekt im Sinne des Ganzheitsanspruchs nicht außen vor bleiben. Zur Diagnostik des Konstitutionstyps gibt es zu verschiedenen Zeiten entstandene Kategorierungen. Am bekanntesten ist die Einteilung nach den Fünf Elementen,Wu xing, die in einer dynamischen Wechselwirkung zueinander stehen. 

Diagnostik
Ausgegangen wird von der grundsätzlichen Unterteilung in Yin und Yang. Störungen äußern sich im Zunehmen oder Abnehmen, d.h. in Überschusssymptomen (Fülle) oder in Mangelsymptomen (Leere). Überschusssymptome des Yin beinhalten eine schwerfällige, dumpf schmerzhafte, übergewichtige und ödematöse Erscheinung, des Yang eine fiebrige, stechend schmerzhafte, hagere und sanguinisch-cholerische Erscheinung. Mangelsymptome des Yin zeigen ein asthenisches, unruhiges und ausgezehrtes Erscheinungsbild, des Yang ein mattes, blasses und hypotones Erscheinungsbild.

Aus dieser Standortbestimmung, wobei Überschusssymptome die akuteren und Mangelsymptome gewöhnlich die chronischeren Krankheitsbilder spiegeln, erfolgt nun die Differenzierung für die Fünf Speicherorgane, wu zang, wie sie von den fünf Elementen repräsentiert werden:

1. Herz: Der Herz-Typ ist - ähnlich dem westlichen Typ-A Verständnis - dominant in Auftreten und Erscheinungsbild, ein Mensch, der auffällt und der es genießen kann aufzufallen. Er ist anfällig für Erkrankungen der Blutgefäße, Herzrhythmusstörungen, Schlafstörungen und nervös bedingte Erkrankungen. Er kann neurotische Züge tragen, und bei mangelnder Anerkennung leidet er unter Phasen von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Chinesische Sinnbilder sind der Herrscher und der Drache, seine Farbe ist rot, sein Temperament spiegelt Machtorientierung.

2. Milz: Der Milz-Typ ist stärker von femininen Eigenschaften geprägt (wenn man so will die Typ-B Persönlichkeit). Er ist abwartend, kontrollierend aus einer gesunden Intuition, die ihn jeweilige Situationen gut erfassen lässt. Er fällt ebenfalls auf, hat aber zumeist eine ruhige, mitunter behäbige und im Krankheitsfall phlegmatische Erscheinung. Er ist anfällig für Erkrankungen des Bindegewebes (Gewebsübersäuerung), Verdauungsstörungen, Übergewicht und neigt zum Grübeln. Chinesische Sinnbilder sind der Gutsverwalter und der Bär, seine Farbe ist gelb (erden), sein Temperament spiegelt eine gutmütige Penetranz

3. Lunge: Der Lungen-Typ ist kühl bis einzelgängerisch. Er ist sich seiner Qualitäten bewusst und weiß sie auch einzusetzen - sofern er will. Nur dann ist er auch auffällig, ansonsten bescheinigt man ihm eine introvertierte Seite - Rampenlicht ist ihm ein eher verhasstes Mittel zum Zweck. Er ist sozusagen ein Haut-Typ. Die Haut macht ihm auch am ehesten Probleme, ferner die Atemwege (allerdings nicht so sehr die Nebenhöhlen) und die Dickdarmpassage. Er ist sensibel und hat eine schnelle Auffassungsgabe, kann egozentrische Züge zeigen und hält oft länger an Dingen fest als ihm gut tut. Chinesische Sinnbilder sind der Asket und der in den Lüften kreisende Adler.

4. Niere: Der Nieren-Typ ist vom Element dem Wasser zugedacht, d.h. er besitzt sowohl weiche als auch hartnäckige Seiten. Er ist bodenständig, scheut jedes Aufsehen, sondern möchte lieber die Fäden im Hintergrund ziehen. Er wird eher Bibliothekar als Leistungssportler. Seine Erscheinung ist ruhig und unaufdringlich, aber er ist ein guter Beobachter und verfügt über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Störungen liegen besonders im Knochenapparat (Rheuma), im systemischen Stoffwechselgeschehen (L.E., Diabetes, M.S.), also nach chinesischem Verständnis sehr innen liegende Erkrankungen. Seine Hartnäckigkeit kann rigide Züge annehmen, und da er normalerweise vieles bedenken mag und bedenken muss, erkennt man oft einen ängstlichen Wesenszug. Chinesische Sinnbilder sind der Berater (der Weise) und der (vorsichtig voranschreitende) Tiger.

5. Leber: Der Leber-Typ ist in gewisser Weise das Gegenteil vom Nieren-Typ. Er fragt "Was kostet die Welt?” und lernt erst sich zu behaupten. So fehlt ihm die Abgeklärtheit, und er eckt öfters an. Sein Temperament ist erfrischend, aber auch leicht aufbrausend. Er ist ein Bewegungsmensch, entsprechend liegen seine Stärken, aber auch Schwächen in der Muskulatur. Er leidet unter Verspannungssyndromen (auch Migräne), im Alter möglicherweise an Parkinson und Alkoholabusus. Seine Symptome können stark wechselnd sein, ebenso seine Launen, was ihn gereizt und cholerisch werden lassen kann. Chinesische Sinnbilder sind der General und der Affe. Seine Farbe ist grün und seine Kriegernatur macht es ihm mitunter schwer, den eigenen Zorn zu zähmen.

Therapeutische Vorgehensweise
Die therapeutische Vorgehensweise zielt auf das Eliminieren von Blockaden im Qi-Fluss. Bei der Akupunktur geschieht dies über das Nadeln (gelegentlich auch über Moxibustion, Schröpfen und Blutenlassen) von Akupunkturpunkten auf den (äußeren) Meridianen, die (von ihrem inneren Verlauf) mit den Organen verbunden sind. Eine Störung im Qi-Fluss bedeutet aber nicht, dass eine organische Störung vorliegt (das wäre eher die Ausnahme), sondern eine Störung in dem mit diesem Organ inhaltlich zugeordneten System oder Funktionskreis. Wenn beispielsweise aus chinesischer Sicht die Leber behandelt wird, heißt das normalerweise das Spannungszustände im Körper abgebaut werden sollen. Je nach Heftigkeit und Dauer der Symptome lassen sich zwei Vorgehensweisen unterscheiden:

a) konstitutionelle Therapie:

Anhand obiger Typologie ist zu sehen, dass die chinesische Diagnostik in einem Entsprechungsdenken eingebunden ist: Organe, Gewebe, Gefühlszustände, geistige Fähigkeiten, aber auch Vorlieben für Farben, Geschmäcker, Gerüche und bestimmte Gewohnheiten deuten auf eine Störung innerhalb eines Typs hin. Nur dieser Typ wird in der Chinesischen Medizin behandelt (vgl. die Arzneimittelbilder in der Homöopathie). Die eigentliche Erkrankung im westlichen Sinne präsentiert sich in der Chinesischen Medizin als ein Symptom unter vielen. Man liest im Ausdruck und im Erscheinungsbild des Patienten das als chinesisches Syndrom, z.B. Leber-Yin-Mangel oder Herz-Yang-Überschuss benannte Krankheitsbild ab. Mit der Benennung des Syndroms (oder des Musters) hat der Therapeut eine Behandlungsanweisung: Mit bestimmten Kräutern oder Akupunkturpunkten lassen sich Yin oder Yang für ein jeweiliges Organ stärken (bu - tonisieren) oder schwächen (xie - ausleiten/sedieren), wobei das Stärken die größere Rolle spielt, da i.d.R. jeder akuten Problematik (Fülle) auch eine Leere zugrunde liegt.

b) symptomatische Therapie:

Mehr als Ausnahme können in der Chinesischen Medizin akute Symptomatiken, die von Fülle gekennzeichnet sind, isoliert behandelt werden. Das entspricht unserer Akutversorgung oder Ersten Hilfe: dazu kann anästhesierend und analgesierend genadelt werden. Die Chinesische Medizin spricht dann von Äußeren bösartigen Einflüssen, den Sechs Krankheitsursachen, liu yin, die als Wind, Kälte, Hitze, Feuchtigkeit und Trockenheit und Sommerhitze bezeichnet werden (und akut immer zu Fülle-Zuständen führen), die auch immer sedierend genadelt werden. Die Behandlungsvorgaben lauten dann z.B.: Schwitzen induzieren, Kälte beseitigen, Feuchtigkeitsstaus auflösen etc.. Es handelt sich bei der symptomatischen Therapie sozusagen um den Erstkontakt mit dem Pathogen des gesunden Organismus. Bei jeder andauernden (rezidivierenden) Symptomatik (kein gesunder Organismus) müssen auch die Leere-Zustände therapeutisch begleitet werden.

Therapeutische Verfahren
Die therapeutischen Verfahren, liao fa, sind die Heilkunde mit Natursubstanzen (pflanzlichen, mineralischen und tierischen Ursprungs), die Diätetik, Massage (Tui na), Akupunktur (inklusive Akupressur, An mo, bzw. der japanischen Weiterentwicklung Shiatsu) und Atemtherapie, Qi gong (inklusive dem "Schattenboxen” Tai ji quan).

In neuerer Zeit haben sich reflexbezogene Mikrosysteme aus der Körperakupunktur entwickelt, die aber als eigenständige Therapien betrachtet werden müssen. Dazu gehören die Ohrakupunktur, Schädelakupunktur und Handakupunktur. Weiterhin werden die Akupunkturpunkte in der Farbakupunktur, Laserakupunktur, homöopathischen Injektionsakupunktur und Elektroakupunktur speziell stimuliert. Bleibt schließlich anzumerken, dass es auch eine Veterinärakupunktur gibt.

In China wird Akupunktur vornehmlich für Erkrankungen des Äußeren und akute (Hitze-) Erkrankungen angewendet, während die Kräutertherapie und Diätetik stärker für Erkrankungen des Inneren und chronische (Kälte-) Erkrankungen zum Einsatz kommt. Idealerweise ergänzen sich die verschiedenen Therapieverfahren in der Chinesischen Medizin (was durchaus im Gegensatz zu der gängigen Praxis im Westen steht). Voraussetzung für die Behandlung ist eine Diagnostik nach der Chinesischen Medizin, inklusive Puls- und Zungendiagnose. Akupunkturbehandlungen sollten im Liegen durchgeführt werden (Nadelkollaps), und es sollte bedacht werden, dass unterschiedliche Körpertypen und unterschiedliche psychische Verfassungen, eine verschiedene Wirkung der Akupunktur hervorrufen. Auch Hunger ist eine Kontraindikation.

Wichtig ist es, sich für ein chinesisches Syndrom zu entscheiden (und nicht etwa zwei verschiedenen Muster auf einmal zu behandeln). Natürlich gibt es nur selten eindeutig zugeordnete Typen, so dass die meisten Syndrome bereits Mischformen beschreiben (z.B. Lunge- und Niere-Yin-Mangel). Akupunkturpunkte haben nicht nur eine Indikation. Das Erlernen und wirkliche Verstehen dieser Indikationen ist oft schwerer als die anatomisch korrekte Lokalisation (Individualität der Akupunkturpunkte). Jedenfalls behandelt nicht jeder Punkt auf dem Herzmeridian das Herz oder kann eine Hauptindikation besitzen, die augenscheinlich mit dem Herzen nichts zu tun hat.

Heilung wird letztlich nicht allein durch Nadeln oder Moxen erfolgen, sondern durch die Mithilfe des Patienten. Hieran muss appelliert werden (Gespräch über Lebensumstände und Gewohnheiten, Chancen zur Veränderung). Ohnehin versteht sich die Akupunktur auch als Primärprävention gegen die Entstehung organischer Erkrankungen. Kommt es auch auf die korrekte Auswahl und Nadelung von Akupunkturpunkten an, so wird der Stimulierung durch Akupunktur auch ein selbstregulierender Prozess an sich nachgesagt (Mikroverletzungstheorie). Schließlich macht die korrekte Durchführung der Akupunkturbehandlung den Patienten froher (und nicht etwa niedergeschlagener). Da das  Vegetativum u. a. mit der Ausschüttung von Endorphinen reagiert. Wichtig ist noch eine Verlaufskontrolle: es kommen von Behandlung zu Behandlung praktisch nie dieselben Punktekombinationen zum Einsatz. Der Mensch ist beim nächsten Mal ein anderer, seine Situation und die äußeren Einflüsse auch. Fast unnötig zu sagen, dass auch Menschen, die mit den exakt gleichen Problemen kommen (Wochenendmigräne) aufgrund der Verschiedenheiten ihres Typs nicht mit genau der gleichen Nadelkombination behandelt werden.